Instandhaltung alter Schaltanlagen durch Retrofit
Was tun, wenn entscheidende Komponenten einer alten Schaltanlage nicht mehr verfügbar sind? Normalerweise wäre es finanziell nicht sinnvoll, ein komplett neues Teil zu entwickeln. Die Lösung der EPS GmbH erforderte nur einen Bruchteil der Kosten für eine neue Anlage oder ein neues Design. Dafür wurde gemeinsam mit HARTING ein Standard-Industriesteckverbinder auf die spezifischen Anforderungen der alten Technik angepasst.
Bei Maschinen und Anlagen mit Betriebszeiten von oftmals 30 Jahren sind Wartung und Instandhaltung eine große Herausforderung. Bauteile werden abgekündigt und sind nicht mehr verfügbar. Eine Bevorratung solcher Komponenten ist meist nur begrenzt möglich und wirtschaftlich nur schwierig darstellbar. Viele Komponenten decken technisch aktuelle Anforderungen nicht mehr ab und enthalten häufig zudem noch problematische Inhaltsstoffe wie Asbest, Quecksilber oder PCB.
Neuentwicklung oder Retrofit der alten Schaltanlage?
In einem der Kraftwerke unseres Kunden waren kritische Komponenten in einer historisch alten Schaltanlage nicht mehr verfügbar. Ein 1:1-Austausch der alten Bauteile durch neue Komponenten war nicht möglich. Die Instandhaltung der Anlage war dadurch gefährdet. "Was konnten wir also tun?" beschreibt Benedikt Holtmann, Geschäftsführer der EPS Energy Protection Services GmbH, die Ausgangssituation. Die EPS ist seit 2013 im Markt tätig und bedient internationale Kunden rund um die elektrische Energie und Stromversorgung. EPS erstellt Stromversorgungskonzepte, übernimmt die schlüsselfertige Errichtung und Inbetriebnahme bis hin zur Wartung der Anlagen. Dazu zählen u.a. unterbrechungsfreie Stromversorgungen (USV), Gleich- und Wechselrichtersysteme, Stromversorgungen mit speziellen Anforderungen, Batterieanlagen und ein eigener Sondergerätebau.
Im Kraftwerk des EPS-Kunden schien es, dass weder eine neu konzipierte Lösung noch eine neue Anlage wirtschaftlich sein würde. Es ging um einen 19-Zoll-Einschub in einem Steuerschrank. Der Einschub mit den abgekündigten elektronischen, elektrischen und mechanischen Bauteilen hatte eine besondere Geometrie. Die Schnittstellen waren in einem Rahmen schwimmend gelagert und wurden durch das Einschieben selbstausrichtend blind in die Gegenseite eingesteckt (Blind-Mate-Steckverbinder). Die Steckverbinder des Einschubs waren demnach die Schlüsselkomponenten, für die eine Lösung gefunden werden musste.
"Weder der alte Hersteller noch die alten Werkzeuge waren verfügbar, und ein neu konstruiertes Teil kam nicht in Frage. Deshalb haben wir nach einem technisch machbaren und wirtschaftlich vertretbaren Weg gesucht. Uns fehlte jedoch das spezielle Know-how, um Steckkontakte für eine solche Sonderlösung zu verwenden" sagt der EPS-Geschäftsführer zu dem Problem.
Der Außendienst von HARTING erklärte uns die möglichen Optionen: "Der modulare Industriesteckverbinder Han-Modular® ist für solche Anforderungen gut geeignet. Er kann unterschiedliche Module für die Übertragung von Signalen, Daten, Energie bis hin zu Druckluft in einem Steckverbinder je nach Bedarf kombinieren. Mit HARTING Customised Solutions haben wir eine eigene Abteilung, die kundenspezifische Anpassungen vornehmen kann", erklärt Heinrich Schmettkamp, Vertriebsingenieur für den HARTING Außendienst.
Projektierung eines kundenspezifischen Steckverbinders
Das Ziel war die Adaption des Standard-Industriesteckverbinders Han-Modular® für die Anforderungen der alten Schaltanlage. Mit dem 19-Zoll-Einschub, der schwimmenden Lagerung und der Blind-Mate-Technik waren die Konstruktion und die Abmessungen bereits in sehr engen Schranken vorgegeben. Zudem mussten Leistungsanforderungen wie die Strombelastbarkeit und die mechanische Festigkeit der Steckkontakte eingehalten werden.
Die Umsetzungsschritte umfassten Vorgespräche mit dem Vertrieb, Klärung der technischen Anforderungen mit der HARTING Projektierungsabteilung, erste Strategien der Projektierungsexperten, dann eine CAD-Konstruktion und schließlich eine Nullserie mit Prototypen. Die Prototypen wurden vor Ort in der Altanlage auf die mechanische Kompatibilität überprüft. Nach wenigen Anpassungen war die Lösung schließlich serienreif. Es folgten elektrische Prüfungen und ein Test auf Erdbebenfestigkeit. Diese Tests gewährleisten, dass sich die Kontakte auch bei seismischen Erschütterungen nicht lösen. Außerdem musste die Sicherheit der Isolierung zwischen den Kontaktstiften bei hohen Strömen nachgewiesen werden" fasst Benedikt Holtmann die Anforderungen an die Qualitätstests zusammen.
Nachfolgend wurden noch die gewünschten Varianten des Steckverbinders definiert. Die 24 Steuerungskontakte sollten unterschiedliche elektrische Belegungen, Farben und Beschriftungen erhalten, mechanisch aber unverändert bleiben. Gefertigt wurden zunächst 100 Einschübe für die alte Schaltanlage. Innerhalb von drei Jahren sollen mehrere hundert Stück ausgeliefert werden.
Durch die Anpassung eines Standard-Industriesteckers zum Einstecken der alten Schaltanlage konnten wir die Kosten auf einen Bruchteil der Kosten für ein neues System oder eine Neuentwicklung begrenzen.
Benedikt Holtmann
EPS Energie-Schutz-Dienstleistungen GmbH
Der EPS-Geschäftsführer hebt hervor, dass die Anpassung eines Industrie-Steckverbinders auch kommerziell gelungen ist, obwohl es sich hier nur um eine Kleinserie handelt. Das wäre im normalen Betriebsablauf eines Massenherstellers kaum möglich gewesen. Die Projektierung des Steckverbinders für die alte Schaltanlage wurde bei HARTING durch einen eigenen Geschäftsbereich umgesetzt.
HARTING Customised Solutions
Weitere HCS-Bereiche befassen sich mit kundenspezifischen Systemverkabelungen wie fertige Bausätze für Frequenzumrichter, Sensorverkabelungen usw. HCS ist auch der Ansprechpartner für kundenspezifische Neuentwicklungen von Steckverbindern z. B. für die Medizintechnik, für Säure- und Öl-beständige Motorverkabelungen oder mit speziellen Gehäusen für die Energiezuleitung und -verteilung.
Technisch einwandfrei und wirtschaftlich vorteilhaft
Der Geschäftsführer der EPS GmbH sieht dieses Projekt für die alte Schaltanlage aus mehreren Gründen als sehr erfolgreich an: "Durch die Sanierung konnten wir die Betriebsdauer der alten Anlage um weitere 20 Jahre verlängern. Die Steckverbinder werden technisch sauber ausgetauscht. Die Qualität ist hoch. Der Installationsaufwand für die Verkabelung ist gering und die Ausfallzeit der Anlage wird minimiert. Da die Nachrüstung der Anlage teilweise durch die bestehende Absicherung abgedeckt ist, sind keine weiteren kostspieligen Abnahmen durch Behörden wie den TÜV erforderlich. Kein zusätzlicher Schulungsbedarf (da keine Umstellung des Bedienpersonals). Außerdem ist die Sicherheit der Anlage gewährleistet, da die alten Komponenten ersetzt werden und der Dokumentationsaufwand gering ist. Der Geschäftsführer hebt auch die gute Zusammenarbeit mit HARTING hervor: "Es war sehr professionell, kollegial und angenehm. "
Letztendlich ist jedoch der wirtschaftliche Faktor entscheidend: "Durch die Anpassung eines Standard-Industriesteckers zum Einsetzen in die alte Schaltanlage konnten wir die Kosten auf einen Bruchteil dessen begrenzen, was sie für ein neu konstruiertes Teil oder eine neue Anlage betragen würden," erklärt Benedikt Holtmann. Für ihn ist es darüber hinaus wichtig, dass EPS als relativ junges Unternehmen ein solches fachlich anspruchsvolles Retrofit-Projekt erfolgreich umgesetzt hat, sowohl in Form und Funktion als auch bei den Kosten.