Change a Running System!
Die Produktion der Zukunft muss ökologisch nachhaltig sein. Im Gespräch mit Vertretern der Smart FactoryKL geht tec.news der Frage auf den Grund: Welche Schritte und Technologie sind notwendig, um dieses Ziel zu erreichen?
tec.news: Wie sieht Ihrer Ansicht nach die Produktion der Zukunft im Jahr 2050 aus?
Andreas Huhmann: Zunächst einmal müssen wir festhalten: Jede zukünftige Produktion ist nachhaltig. Wir können uns eine nicht-nachhaltige Produktion nicht mehr erlauben! Nachhaltigkeit ist kein Teilaspekt der Digitalisierung, sondern steht über allem!
Teresa Petzsche: Ich stelle mir das Jahr 2050 so vor, dass die Produktion der Zukunft keine oder nur sehr wenig neue Rohstoffe und Materialien verbraucht. Wir werden dann unser System so umgestellt haben, dass wir es beim Einsatz von Ressourcen schaffen, diese beständig im Kreislauf zu halten, um möglichst wenig Abfall zu produzieren. Dazu nutzen wir digitale Instrumente. Jedoch nicht, um Produkte schneller, besser, schöner zu machen, sondern viel mehr, um die ökologische Nachhaltigkeit sicherzustellen.
Martin Ruskowski: Mein Bild ist, dass wir es im Hinblick auf Ressourcen schaffen, alles bisher Verwertbare auch schließlich zu verwerten. Ebenso werden wir Materialien einsetzen, die auch verwertbar sind und deren Einsatz auch günstiger wird. Aber es geht zukünftig über Recycling und Re-Use hinaus. Es wird Usus sein, Produkte zurückzunehmen und Teile davon wieder in neue Produkte einzubauen. Wir werden aber auch in der Lage sein, Energieversorgung aus nachhaltigen Quellen aufzubauen und innerhalb der Produktion zu lernen, auf deren schwankendes Angebot flexibel zu reagieren und diese zielgerecht zu nutzen. Weiterhin erwarte ich im Jahr 2050, dass technologisch die Grundlagen gelegt sind und wir im regulativen Bereich die richtigen Maßnahmen abgeleitet und umgesetzt haben, die unter diesen Randbedingungen auch die betriebswirtschaftlich günstigsten sind. Ich sehe zukünftig drei wesentliche Punkte: Logistik – nicht nur im Sinne von Resilienz, sondern auch hinsichtlich der Reduktion der Transportwege. Zweitens: das Thema Energieverbräuche und schließlich drittens: das Thema Recycling/Re-Use.
Ingo Herbst: Ich glaube, dass es wichtig ist, dass Unternehmen und die gesamte Wirtschaft zu einem langfristigen Denken kommen, dass sie eine ganz andere planerische Vision angehen. Dass kurze Hypes mit kurzen Gewinnzyklen der Vergangenheit angehören und dass wir langfristig auch gemeinsame Produktion denken – im Sinne einer „Shared Production“. Im Jahr 2050 haben wir gemeinsame Standards, die allen nutzen. Perspektivisch werden wir auch zu einer realistischen Bepreisung aller Rohstoffe und aller Umweltauswirkungen von Produkten kommen müssen, damit wir sehen, was unsere Produkte langfristig überhaupt wert sind.
tec.news: Mithilfe des Digital Twins sind wir in der Lage, den Product Carbon Footprint und den Einsatz von Materialien sichtbar zu machen. Was muss auf diese Transparenz folgen?
Martin Ruskowski: Dem Team der Smart FactoryKL und mir geht es darum, die Gesamttransformation weltweit voranzutreiben. Die letzten industriellen Revolutionen zielten auf Effizienz und dem Einsparen von Arbeitskräften auf dem Shopfloor ab. Das hat sich immer schnell gerechnet und deswegen wurden die Technologien eingeführt. Das Besondere an der 4. Industriellen Revolution ist jedoch, dass wir wirklich langfristig denken müssen, um überhaupt noch produzieren und leben zu können. Dazu müssen wir ressourceneffizient arbeiten und auf erneuerbare Energien setzen. Uns wird aktuell bewusst, dass uns die Kosten der fehlenden Nachhaltigkeit einholen und die Produktkosten übersteigen.
tec.news: An welchen konkreten Projekten zur nachhaltigen Produktion arbeiten Sie derzeit?
Martin Ruskowski: Uns beschäftigt aktuell sehr die Energieerfassung über die Verwaltungsschale, bei der wir Transparenz über reale Verbrauchsdaten erhalten, und dadurch die Abläufe in unserer modularen Smart Factory aus der Perspektive der ökologischen Nachhaltigkeit optimieren können.
Teresa Petzsche: Grundsätzlich bietet das Thema Daten eine große Chance. Um Daten nicht nur zu sammeln, sondern sie auch ins Verhältnis zu setzen und Rückschlüsse zu ziehen, nutzen wir die auf der Verwaltungsschale basierende „Lebenszyklusakte“. Wir sammeln Daten in der Produktion, im Design, über die Nutzungsphase und teilen sie mit mehreren beteiligten Stakeholdern. Auf diese Weise können wir dann Rückschlüsse ziehen hinsichtlich verschiedener R-Strategien wie Re-Use, Re-Manufacturing und Recycling. Wir erstellen so ein System, um Daten an ein Produkt zu koppeln und dort zu sammeln und einzuspeisen, wo sie für jeden sichtbar sind. Mit Blick auf den gesamten Produktlebenszyklus stellen wir uns die Frage: Wie kann man das Produkt so gestalten, dass es möglichst langfristig nutzbar ist? Dass verwendete Materialien direkt wieder genutzt werden können oder die Produkte dauerhaft bestehen? Wir müssen zukünftig das Richtige machen und nicht nur etwas weniger schlecht! Dazu ist es notwendig, das ganze System zu betrachten, es für die Forschung und das ganze Wirtschaftssystem zu übertragen – anders kommen wir nicht ans Ziel.
tec.news: Sie veranschaulichen Ihre Produktion der Zukunft an dem von Ihnen entwickelten Production Level-4 Demonstrator. Wie funktioniert Ihr Praxis-Beispiel?
Teresa Petzsche: Wir arbeiten derzeit an einem neuen Produktionsmodul, um einen Re-Use-Case zu demonstrieren. Unsere Anlage produziert Spielzeug-LKW. Sobald diese kleinen LKW nach der Nutzungsphase zu uns zurückkommen, werden sie zunächst mittels KI auf Fehler untersucht. Die Qualitätskontrolle entscheidet darüber, inwiefern Fahrzeugteile in die Nutzung zurückgeführt und im Re-Use-Lager gesammelt werden können. Bestellt nun ein Kunde ein neues Produkt, kann er aus verschiedenen Teilen auswählen – und sich so beispielsweise für das Fahrerhaus als Re-Use-Produkt entscheiden. Gleichzeitig sieht er, wieviel Material und CO2 er dadurch eingespart hat. Unser Kreislauf-Use-Case in Verbindung mit der Verwaltungsschale zeigt: Es ist möglich, Daten verfügbar zu machen und in den Bestellprozess mit einzubeziehen.
tec.news: Beschreiben Sie Ihr Konzept einer „Shared Production“.
Martin Ruskowski: Unter „Shared Production“ verstehen wir: über Firmengrenzen hinaus zu denken, miteinander zu arbeiten, sich gegenseitig zu unterstützen. Auf diese Weise wird das Teilen von Daten und Technologien konsequent weitergedacht – natürlich unter Wettbewerbsrichtlinien. Dabei gilt es, Produktdaten verfügbar zu machen, damit eigene Produkte auch von anderen recycelt werden können. Das Weiterreichen der digitalen Abbilder muss in den gesamten Wirtschaftskreislauf einziehen, denn bislang sind Digital Twins noch ein kostenloser, erwarteter Add-On-Wert.
Ingo Herbst: Der Kerngedanke unserer „Shared Production“ ist vergleichbar mit dem des Car-Sharing in Städten. Über Datenräume sind wir in der Lage, Maschinen zu vernetzen und von verschiedenen Produzenten nutzen zu können. Eine Maschine am Ort XY kann also maximal ausgelastet werden – nicht nur vom Inhaber selbst, sondern auch von externen Benutzern. Das bedeutet eine Win-Win-Situation: die maximale Auslastung einer Maschine. Eine „Shared Production“ muss also mit dem Gedanken einer „Sharing Economy” einhergehen.
Andreas Huhmann: Ebenso bedeutet eine „Shared Production“ auch eine Dezentralisierung und Reduzierung von Logistik. Es lassen sich dezentrale Wertschöpfungsketten aufbauen und kundennah und einzelne Prozessschritte so aneinanderbinden, dass sich auch die Logistik optimieren kann.
tec.news: Hat die Industrie 4.0 im Hinblick auf Nachhaltigkeit einen Paradigmenwechsel ausgelöst?
Andreas Huhmann: Absolut! In der Vergangenheit galt der Leitspruch: „Never change a running system!“ Das darf zukünftig nicht mehr gelten. Vielmehr muss es heißen: „Change a running system!“ Denn wir haben die Möglichkeit, ein „laufendes System“ nicht nur prinzipiell zu verändern – wir können es sogar dabei aus ökologischen Nachhaltigkeitsgesichtspunkten optimieren.
Martin Ruskowski: Unser Ziel ist die nachhaltige Produktion, die jedoch zukünftig nur Bestand hat, sofern ökologische Folgekosten in die Produktionskosten einfließen. Unter dieser Prämisse liefern wir als Smart FactoryKL die wirtschaftlichste Produktion und zeigen mit unserem Demonstrator-Ökosystem, wie eine optimale Produktion nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch funktionieren kann.