Wasserstoff und der Strom aus Wind und Sonne sind Partner der Energiewende
Gastartikel Prof. Dr. Birgit Scheppat
Wie bewegen wir uns in der Zukunft fort, wie werden Produkte produziert und was sind die Voraussetzungen, dass diese neue Wasserstoffwirtschaft inklusive „All Electric“ klappt?
Die europäische Gesetzgebung hat mit Fit for 55, der Renewable Energy Directive (RED II), der Clean Vehicle Directive und weiteren Programmen klargestellt, dass Europa nur dann eine Chance hat, das Klimaziel von einer maximalen Erderwärmung um 1,5 °C einzuhalten, wenn alle Maßnahmen zur CO2-Vermeidung umgesetzt werden. Der Weg aus den fossilen Kraftstoffen hin zu einer stromgetriebenen Industriegesellschaft ist vorgezeichnet. Verschiedene Wege sind vorgezeichnet – eins wird aber sicherlich eintreffen: Wasserstoff wird ein wichtiger Energievektor der Zukunft sein. Und, ja – das wird viel Geld kosten, aber auch eine ungeheure Vielzahl von neuen Chancen in den verschiedenen Anwendungsgebieten eröffnen.
Ob alles mit elektrischem Strom oder mit Wasserstoff und Brennstoffzelle gemacht wird, startet beim gleichen Ausgangspunkt, nämlich dem Strom aus erneuerbarer Energie. Damit der Strom dieser Energiequellen in der Nutzung ankommen kann, werden drei Dinge gebraucht: Energieerzeugung, Transport und Speicherung. Die Energieerzeugung des grünen Stroms aus Wind und Sonne ist technisch geklärt und kann immer wieder verbessert werden. Alle notwendigen Voraussetzungen für eine langfristige Nutzung der Anlagen und ihrer Marktreife sind vorhanden. Die Aussagen hinsichtlich Transportes und Speicherung hingegen sind nicht mehr so eindeutig zu beantworten. Insbesondere die Speicherung oder das Vorhalten der Energie als „Elektron (Batterie) oder Molekül (Wasserstoff)“ ist immer noch umstritten und „umkämpft“.
1 kg Wasserstoff mittels elektrischer Energie aus Photovoltaik und Sonne produziert enthält 33,3 kWh Energie – das entspricht ungefähr 2,75 l Benzin. 1 kg der besten Lithiumionenbatterien speichert bis zu bei 500 Wh, d. h. in einem Kilogramm Wasserstoff lässt sich die gleiche Energie speichern wie in einer 66 kg schweren Lithiumionenbatterie. Dies zeigt das Potential der Speicherung von Energie mittels Wasserstoff. Heute liegt der Wirkungsgrad bei der Wasserstofferzeugung durch Elektrolyse noch bei ca. 70 Prozent. Dieser lässt sich aber erhöhen, wenn nicht nur der Wasserstoff genutzt, sondern auch der Sauerstoff (in Bereiche wie Abwasserreinigung) und die Abwärme. Hier können wir einen Wirkungsgrad von fast 90 Prozent erzielen.
Die Technologien – sowohl Batterien als auch Brennstoffzelle/Wasserstoff – sind im Wesentlichen entwickelt. Die Fragen, die gelöst werden müssen, insbesondere für die Erzeugung von Wasserstoff, sind, wie schnell es gelingt, die Serienfertigungen für Elektrolyseanlagen aufzubauen, die Distribution des Wasserstoffs zu vernünftigen Kosten – am besten per Pipeline – zu ermöglichen usw. Es geht um den Aufbau/Ausbau der Stromerzeugung aus Photovoltaik und Wind, und es geht um den Markthochlauf, um die Stückzahlen hoch- und damit die Preise für installierte Leistung herunterzubekommen.
Wasserstoff ist ein Stoff, der in großem Umfang bei vielen technischen und chemischen Prozessen zum Einsatz kommt. In der Chemieindustrie wird er für die Erzeugung von Farben, Kunststoffen, Fetten und Düngemittel genutzt – allerdings mit Wasserstoff aus Erdgas. Dieser Wasserstoff war bisher konkurrenzlos billig, weil das Erdgas billig war und das bei der Reformierung erzeugte Kohlendioxid an die Umwelt abgegeben wurde. Darüber hinaus braucht es zukünftig große Mengen Wasserstoff in der Stahl- und in der Zementindustrie. Den Wasserstoff hier zu ersetzen, ist alleine eine Frage der Kosten. Oder anders ausgedrückt: Es braucht viele große erneuerbare Stromerzeuger plus Pipelines, um die Kosten zu drücken. Der Einsatz von sogenanntem grünem Wasserstoff hängt davon ab, ob es gelingt, die notwendigen Wind- und Photovoltaik-Anlagen schnell und zu vernünftigen Kosten aufzubauen. Erfahrungen mit einer Wasserstoffwirtschaft gab es bereits. Früher stellten die Stadtwerke Stadtgas her, das bereits < 50 Prozent Wasserstoff enthielt. Im Niederdruckbereich beim Handhaben von Wasserstoff bis zu 300 bar sind alle technischen Fragen mehr oder weniger geklärt. Sobald die Normung für Wasserstoff festgelegt ist, wird Wasserstoff lautlos – wie auch bisher – in den verschiedenen Anwendungsfällen eingesetzt. Das Einzige, was wirklich kritisch ist: Wie schnell lassen sich die Kosten der Erzeuger, der Speicher und der Infrastruktur senken und der Auf-/Ausbau bewerkstelligen.
Der Einsatz von Wasserstoff ist eine große Chance zu schauen, ob im firmeneigenen Portfolio nicht Anknüpfungspunkte für diese neuen Technologien vorhanden sind. Metall/Kunststoffverbünde, Stanzen/Pressen, Oberflächenbeschichten, Dichtungen, smarte Lösungen usw. – in vielen der oben genannten Bereiche gibt es bisher nur Vorserienbetrieb, es fehlen kostengünstige und zuverlässige Pumpen, Turbolader, Sensoren usw. – eigentlich könnte man von einem Eldorado an neuen Chancen ausgehen.
Dazu muss man sich allerdings mit den Technologien beschäftigen. Kommen werden sie, früher oder später. Heutige Prozesse in der Industrie, den Gebäuden und im Verkehr werden umgestellt sein, dafür sorgt bereits heute die in der Umsetzung befindliche europäische Gesetzgebung: RED II, Fit for 55 usw. Es ist nur zu empfehlen, neugierig auf die Technologiefelder zuzugehen und Entwicklungen anzustoßen. Es braucht viele neue, gute, kostengünstige und nachhaltige Ideen – jetzt ist die Zeit zu Starten.
Prof. Dr. Birgit Scheppat, seit Juni 2006 Professorin für Wasserstoff und Brennstoffzellentechnologie an der Hochschule RheinMain. Darüber hinaus ist sie in diversen Gremien aktiv, wie etwa in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Fachgruppe Energie und dem VDI. Ebenso ist sie Vorstandsmitglied der Wasserstoff- und Brennstoffzellen Initiative Hessen und Mitglied im Präsidium des DWV.