Aufbruchstimmung
Die IDTA als leistungsstarke Allianz über das Gestalten der Zukunft des Digital Twin
Meik Billmann ist seit April 2021 Geschäftsführer der Industrial Digital Twin Association (IDTA). Im ZVEI konzeptionierte er gemeinsam mit Gunther Koschnick und dem VDMA die IDTA und hob sie aus der Taufe. Sieben Jahre zuvor hat er das Thema Industrie 4.0 im ZVEI-Fachverband Automation vorangetrieben. Im Gespräch mit tec.news äußerte er sich zu Herausforderungen und Aufgaben der IDTA.
tec.news: Wir erleben derzeit eine Aufbruchstimmung in punkto Digital Twin und Verwaltungsschale. Was ist momentan disruptiv anders als noch vor fünf Jahren?
M. Billmann: Aus der Innensicht betrachtet, begann die Geschichte der Verwaltungsschale zunächst in einem dezentralen Setting: In Verbandsgremien, insbesondere im ZVEI wurde die Spezifikation der Verwaltungsschale vorangetrieben und über die Gremien der Plattform Industrie 4.0 abgestimmt und verbreitet. 2019 hat man festgestellt, dass die Verwaltungsschale eine gewisse Reife erreicht hat und wir über das dezentrale Setting hinaus gehen müssen, um die Technologie im Markt zu verbreiten. Also haben wir aus der Reife des Entwicklungsstandes eine Organisation gegründet, die sich ausschließlich dieses Themas annimmt und die Verwaltungsschale am Markt vertritt und weiterentwickelt. So wurde die IDTA gegründet und gegenüber der Industrie ein Ansprechpartner für die Verwaltungsschale als Digitaler Zwilling der Industrie 4.0 installiert. Dies macht einen riesigen Unterschied gegenüber dem vorherigen Rahmen. Bei der Außensicht spielen viele Aspekte eine Rolle: die Entwicklung rund um die Corona-Pandemie, zusammenbrechende Lieferketten und die Bemühungen, sie resilienter zu machen und Produktion wieder zurück nach Europa zu holen. Hinzu kommen regulatorische Themen, wie der Digital Product Passport. All das hat den Digital Twin noch präsenter auf die Agenda der Unternehmen gebracht.
tec.news: Welche Rolle bei dieser Art der Regulierung hat da das Thema Green Industry bzw. Product Carbon Footprint?
M. Billmann: Green Industry oder der Green Deal spielen eine große Rolle. Die Notwendigkeit den Carbon Footprint von Produkten zu erfassen und nachzuweisen, zielt auf die Dekarbonisierung der Industrie. Angesichts der großen Herausforderungen die durch den Klimawandel entstehen, ist es ein wichtiger Faktor für die gesamte Industrie
tec.news: Was sind ihre aktuellen Projekte, an denen Sie arbeiten?
M. Billmann: Wir konzentrieren uns in diesem Jahr zum einen darauf, den Nutzen der Verwaltungsschale für den digitalen Product Passport herauszuarbeiten. Zum anderen werden wir eine industriefertige Spezifikation der Verwaltungsschale veröffentlichen, um sie den Entwicklungsabteilungen für ihre Implementierungsphasen zur Verfügung zu stellen. Rund um diese Spezifikation entstehen Tools, die eine Implementierung und das Testen von Verwaltungsschalen erleichtern werden. Und schließlich bauen wir aktuell ein Zertifizierungssystem auf – eine Plattform zur Zertifizierung digitaler Zwillinge, die deren Konformität mit der Spezifikationen testet. Sie sehen, wir haben viele spannende Themen auf unserer Agenda und krempeln die Ärmel hoch.
tec.news: Wie stellt die IDTA sicher, dass der Standard für den Digital Twin eine weltweite Gültigkeit haben wird?
M. Billmann: Die Spezifikation der Verwaltungsschale wird in die internationale Normung bei IEC überführt. Das gleiche gilt für einen Satz an Basis-Teilmodellen, unsere Informationsmodelle, in denen wir die Semantik standardisieren. Gleichzeitig setzen wir auf Offenheit und Verfügbarkeit unserer Standards. Alles, was aus den Gremien der IDTA kommt stellen wir als Open Source und kostenfrei zur Verfügung.
Wir arbeiten daran eine weltweite Open Source Community um den Digitalen Zwilling zu entwickeln. Besonders stolz bin ich darauf, dass wir schon heute mit anderen Ländern intensiv daran arbeiten die Anwendung der AAS zu standardisieren. Demnächst wird von der IEC die AAS Norm 62378-1 veröffentlicht.
tec.news: Was wird zukünftig konsortial Standard sein?
M. Billmann: Unser Ziel ist, die Spezifikationsreihe für die Verwaltungsschale nach und nach in die internationale Standardisierung zu überführen. Dies betritt dann insbesondere das Metamodell, die API und die Security. Diese Spezifikationen sind zunächst natürlich auch konsortial ein Standard. Bei den Teilmodellen ist die Situation etwas anders. Wir gehen davon aus, dass nur ein Basis-Satz an Teilmodellen normiert wird. Teilmodelle wie z. B. Digital Nameplate gehören zu den Kandidaten, die wir normen möchten, hier ist der Prozess auch schon gestartet. Bei vielen anderen Teilmodellen brauchen wir die Agilität und Flexibilität eines anpassbaren Standards. Fest steht, es wird einen Kern an Normen geben und es wird konsortial standardisierte Teilmodelle geben, die am Ende zusammenpassen müssen. Das ist schließlich unsere Aufgabe.
tec.news: Wie viele Mitglieder hat die IDTA heute?
M. Billmann: Wir sind seit zwei Jahren operativ tätig und zählen aktuell 94 Mitglieder. Das Besondere dabei: Das Spektrum repräsentiert die gesamte Breite der Industrie – Hersteller aus den Bereichen Automatisierung und Maschinenbau sind ebenso mit an Bord wie Endanwender und IT-Unternehmen. Da unsere Technologie es ermöglichen soll, über den gesamten Lebenszyklus Informationen verfügbar zu machen und in die entsprechenden Lebenszyklusabschnitte hineinwirken zu lassen, ist für uns wichtig, dass die gesamte Wertschöpfungskette mit abgebildet ist. Dementsprechend ist es für uns essenziell, dass wir Lieferkette abbilden und internationale Unternehmen dazugewinnen. So haben wir einige US-amerikanische Unternehmen als Mitglied gewinnen können, außerdem zählen wir ein Cluster an koreanischen Unternehmen sowie japanische Konzerne zu unseren Mitgliedern.