Große Fortschritte treffen auf große Herausforderungen

Interview mit
Roland Edel, CTO Siemens Mobility

Welche Rolle spielen Transportation und Mobility mit Blick auf die gesellschaftlichen und technologischen Megatrends? Im Gespräch mit tec.news bringt Roland Edel, Chief Technology Officer der Siemens Mobility GmbH, seine Bestandsaufnahme und seine Zukunftsvisionen auf den Punkt.

tec.news: Wie sehen Sie die Bedeutung von Mobility und Transportation als wichtige Zukunftstrends?

R. Edel: Ein wichtiger Zukunftstrend ist die zunehmende Urbanisierung. Mehr und mehr Menschen leben in urbanen Ballungszentren, gleichzeitig gibt es einen globalen Warenhandel, der immer weiter ansteigt. Transportsysteme werden daher in der Zukunft immer wichtig sein. Gewisse Einschnitte gibt es aktuell zwar pandemiebedingt, sie werden sich aber dann wieder einpendeln, sobald wir zu einer Normalität nach Covid-19 zurückkehren. Sicherlich hat die Pandemie aber deutliche Auswirkungen auf den „Geschäftstourismus“. Gerade im letzten Jahr ist deutlich geworden, dass nicht jede Geschäftsreise oder Messe notwendig ist. Ich denke daher, dass es auf diesem Gebiet keine derartige Steigerung des Transportbedarfs geben wird, wie wir sie noch früher gesehen haben. 

tec.news: Wo und wie bewerten Sie die unterschiedlichen, regional bedingten Bedürfnisse?

R. Edel: Hier spreche ich gern von der Maslowschen Bedürfnispyramide des Transportwesens. So sind als prominente Beispiele Berlin und Wien im öffentlichen Nahverkehr gut ausgestattet, dass sie ganz andere Problemstellungen lösen als etwa eine Kleinstadt in Südamerika. Andere Metropolen, beispielsweise in China, sind wiederum in der Situation, dass sie erst einmal öffentliche Verkehre aufbauen müssen. Der Unterschied besteht für mich weniger in den Regionen, sondern eher in der Frage: Wo stehen die einzelnen urbanen Ballungszentren bzw. die einzelnen Nationalstaaten mit ihren öffentlichen Verkehrssystemen. Weit entwickelt sind diesbezüglich etwa die Europäische Union, Japan, Kanada oder Teile der USA. Für sie stellt sich eher die Frage: Wie können wir hier die Systeme noch weiter optimieren? Wie machen wir sie attraktiver für den Fahrgast? Wie bringen wir mehr Verkehre von dem Individual- in den öffentlichen Verkehr? Der große Unterschied besteht hier zu anderen Regionen, die noch die Infrastrukturen schaffen müssen – weil sie beispielsweise vielleicht nur Bussysteme als öffentliche Verkehrsmittel anbieten und dringend eine U-Bahn bräuchten. Aber schon in Deutschland haben wir kein homogenes Bild, es gibt Städte, die über Straßenbahnen nachdenken, während andernorts bereits alle vorhandenen Systeme vernetzt werden.

tec.news: Welche technologischen Megatrends leiten Sie von welchen gesellschaftlichen Megatrends ab? Was bedeutet dies konkret für Unternehmen?

R. Edel: Zusätzlich zu den zuvor angesprochenen Trends Urbanisierung und globaler Warenhandel ist darüber hinaus der Klimawandel zu nennen. Diese genannten Trends erfordern nachhaltige Mobilitätssysteme. Um wiederum nachhaltige Mobilitätssysteme schaffen zu können, brauchen wir eine Verkehrsverlagerung aus dem Individualverkehr – hier werden relativ viele Ressourcen pro bewegten Personen- oder Tonnenkilometer verschwendet – hin zu öffentlichen Verkehren. Grundsätzlich bedarf es dabei mehr Möglichkeiten, öffentliche Verkehre überhaupt zu nutzen. Das erreicht man zum einen über eine Erweiterung, einen Neu- bzw. Ausbau, und zum anderen steigert man die Effizienz durch die Digitalisierung der Mobilität. Durch viele aktuelle Digitalisierungsmaßnahmen schaffen wir es, Systeme effizienter aufbauen und durch diese heute bereits existierenden Systeme mehr Verkehre durchführen können. Digitalisierung ist der maßgebliche Hebel, um die Effizienz der bestehenden Infrastrukturen zu steigern. Ebenso ist es wichtig, im Sinne eines „Mobility as a Service“-Gedankens die Attraktivität für die Benutzer der Systeme zu erhöhen, sowohl als Güterbenutzer als auch im Personenverkehr.

Als weiteren Trend sehe ich die Notwendigkeit, dass auch die Städte selbst smarter werden müssen. Es müssen Lebensumgebungen entstehen mit intelligenter Wasser- und Stromversorgung, aber auch mit einer intelligenten Verkehrsversorgung. Wie können wir Städte also zukünftig bauen bzw. umbauen, damit sie steuerbar sind? Hier ist natürlich das Thema Cyber-Security ein wichtiger Faktor. Denn eine Smart City könnte ohne sie komplett lahmgelegt werden. Es muss also eine entsprechende Widerstandsfähigkeit vorhanden sein, die auch für Schiene, Straße und alle Digitaltechniken wichtig ist.

In meinen Augen ist aber auch das Thema „Service“ im Zusammenhang mit den Digitalisierungstechniken ein wichtiger Punkt. Denn sie unterstützen dabei, dass möglichst wenig Wartung bei möglichst viel Infrastruktur notwendig ist. Sensorik oder Künstliche Intelligenz helfen, intelligente Wartungssysteme zu schaffen, die schließlich Auskunft geben, wann was zu tun ist. Nachtunen und Updates steigern dabei nachträglich noch die Effizienz. Sobald der Service digitalisiert ist, gibt es auch mehr Angebote, die sich kontinuierlich weiterentwickeln. Ein Beispiel: Es gibt mehrere 10.000 Weichenantriebe in Deutschland. Mit nachgerüsteter Digitalisierung schaffen wir es, die Stromstärke bzw. den Leistungsbedarf für das Schieben der Weiche anzuzeigen. Geht dies mit der Zeit immer schwergängiger, ist schließlich eine Wartung vor Ort notwendig. Der Zeitpunkt der Wartung kann somit punktgenau bestimmt werden.

tec.news: Mit einem Blick 10 Jahre zurück: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Fortschritte, die bislang erzielt wurden?

R. Edel: Als den größten Fortschritt der letzten 10 Jahre ist sicherlich das Thema Nachhaltigkeit zu nennen. Denn es ist heute nicht mehr die Frage, ob wir nachhaltig werden wollen, sondern vielmehr: Wie wollen wir es erreichen? Vor etwa 30 Jahren war Umweltschutz in unserem Bereich noch gar nicht relevant. Ein weiterer großer Schritt ist uns mit dem Startschuss der Digitalisierung gelungen. Durch sie haben wir bereits jetzt entsprechende Zugsicherungssysteme etabliert und erzielen höhere Durchsätze, geringere Zugabstände, effiziente Wartungsprozesse… Die Reise geht aber jetzt erst richtig los. Das alles ist natürlich ein großer Fortschritt, aber gleichzeitig auch eine riesige Herausforderung.

tec.news: Mit einem Blick in die Zukunft: Was wird in den nächsten Jahren besonders wichtig? Wo sehen Sie potentielle Hindernisse?

R. Edel: Wir müssen den Weg der Automatisierung mit Digitaltechnik weitergehen, weitere Fortschritte in der Autonomisierung erzielen. Dies wird vor allem im Individual- und öffentlichen Verkehr eine spannende Herausforderung. Der Chefentwickler des US-Technologieunternehmens Waymo beantwortete die an ihn gestellte Frage, wann Autos autonom und wirklich ohne Fahrer führen, sinngemäß: ‚Bei schönem Wetter und auf guten Straßen bereits heute, auf jeder Straße und bei jedem Wetter in 30 Jahren‘. Für den Bahnbereich sehe ich das ähnlich, auch wenn wir hier schon auf einem guten Weg sind: Es existieren beispielsweise bereits fahrerlose U-Bahnen, wie etwa in Nürnberg. Die dort zum Einsatz kommenden Sicherheitsprinzipien sind allerdings nicht ohne weiteres auf Straßenbahnen oder Regional und Hochgeschwindigkeitsbahnen übertragbar. Hier muss zukünftig eine Umfeldsensorik zum Einsatz kommen, die das Fahrzeug so intelligent macht, dass sie den Fahrer ersetzen kann. Unterstützt werden muss ein solches System zusätzlich an kritischen Punkten durch die Infrastruktur – etwa Lichtanlagen an einer Kreuzung oder Ähnliches. Heutige Zugsicherungen verhindern Kollisionen mit anderen Bahnen, sie ist derzeit aber noch nicht darauf ausgelegt, dass sie Menschen oder Tiere auf dem Fahrtweg erkennen. Bevor jeder Zug, bei jeder Umgebungsbedingung, und auf jeder Strecke vollständig autonom einsetzbar ist, werden vermutliche noch einige Jahre vergehen.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Wir müssen die Nachhaltigkeitslösungen in den nächsten Jahren deutlich schneller skalieren. Dazu müssen sie aus Industriesicht entsprechend günstig und zuverlässig sein, aus staatlicher, regulatorischer Sicht ist die Frage: Wie steuern wir diese Skalierung? Aus der Sicht der Benutzer wiederum spielt das Thema Akzeptanz die Schlüsselrolle.

Außerdem müssen wir die Passenger Experience in unseren öffentlichen Verkehren erhöhen. Seit den 50er Jahren richtete sich die Bahn zu einem Massentransportmittel aus.  Dies führte über die Jahrzehnte dazu, dass sich Fahrgäste zusätzlich auch für Individuallösungen, wie dem PKW, entschieden haben.

Öffentlicher Verkehr bedeutet heutzutage noch, umzusteigen bzw. zunächst zu einer Stelle zu kommen, von dieser der (Weiter-)Transport erfolgt. Im Individualverkehr (PKW) funktioniert dies door-to-door. Unser Ziel ist es daher nachhaltig attraktiv für Betreiber und Fahrgäste zu sein, z.B. mittels unserer Mobility as a Service  - oder zukünftig „On Demand“ Lösungen (DRT). Diese ermöglichen dem Fahrgast seine Route schon im Vorfeld zu planen, zu optimieren und auch weitere Transportmittel wie beispielsweise das Fahrrad zu integrieren. „On Demand“ Mobilitätslösungen könnten wiederum selbstfahrende Minibusse sein, die derzeit bei dem „Heat“ Projekt in Hamburg eingesetzt werden.

tec.news: Was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Aufgaben für die nachhaltige Entwicklung von Mobility und Transportation in den nächsten 3 bis 5 Jahren?

R. Edel: In näherer Zukunft werden die drei großen „Vs“ zur Hauptaufgabe: Vermeiden, Verlagern, Verbessern. Was meine ich damit? Man sollte Transporte vermeiden, wo es möglich ist. Wir benötigen also weitere Logistikoptimierung, wie die Vermeidung von Leerfahrten, den schnellen Wechsel der Güter zwischen den Verkehrsträgern etc.. Kann man ihn nicht vermeiden, sollte man ihn auf einen Verkehrsträger verlagern, der den Transport aus Nachhaltigkeitsgründen, aus Effizienzgründen und aus energetischen Gründen am sinnvollsten abwickelt. Sollte ein Verlagern nicht möglich sein, muss der jeweilige Verkehrsträger verbessert werden, indem man ihn möglichst effizient und nachhaltig macht und viel Durchsatz erzielt.

Wir müssen die Effizienzsteigerung der Bahn über die Digitalisierung erreichen und die Kapazitäten erhöhen. Hinsichtlich der E-Mobilität auf der Straße, bei der wir die elektrische Energie direkt nutzen mittels Batterie und/oder Oberleitung, müssen wir in den nächsten Jahren massiv steigern. Denn wir wollen 2030 letztendlich sicherstellen, dass keine Verbrennerfahrzeuge mehr zugelassen werden dürfen, zumindest nur dann, wenn sie nicht mehr mit fossilen Kraftstoffen betrieben werden. Das wird eine große Aufgabe, die bereits jetzt angegangen werden muss. Hier braucht es Lösungen – vielleicht auf Basis von Wasserstoff oder E-Fuel? Vielleicht eine intelligente Kombination aus allem?

Roland Edel, CTO Siemens Mobility