Über die Zukunft von Maschinenintelligenz in der Industrie
Dr. Duane S. Boning ist Clarence J. LeBel Professor für Elektrotechnik und Computerwissenschaften am MIT. Außerdem ist er stellvertretender Direktor der MIT Microsystems Technology Laboratories (MTL) sowie Mit geschäftsführer der Programme Leaders for Global Operations (LGO) und Machine Intelligence for Manufacturing and Operations (MIMO). tec.news hatte kürzlich die Gelegenheit, Professor Boning zu interviewen und ihn zu spannenden neuen Entwicklungen im Bereich des maschinellen Lernens, insbesondere für industrielle Anwendungen, zu befragen.
INDUSTRIELLE WETTBEWERBSFÄHIGKEIT
tec.news: Wie würden Sie die Entwicklung der maschinellen Intelligenz im Kontext des Wandels von Betriebs- und Produktionsabläufen beschreiben?
Professor Boning: Beginnen wir mit der Geschichte der Betriebs- und Fertigungsmethoden. Vor 30 Jahren haben die Lean Manufacturing-Methoden den Industriesektor transformiert. Diese Ansätze konzentrierten sich darauf, überschüssige Lagerbestände zu vermeiden, indem Komponenten erst dann angeliefert wurden, wenn sie benötigt wurden. So konnte man unnötige Kosten für die Lagerung vermeiden sowie die Produktivität und den Gewinn steigern.
Vor 15 Jahren haben sich dann die Lieferketten von der lokalen Beschaffung hin zur globalen Beschaffung verlagert, wobei eine starke Abhängigkeit von Asien entstanden ist. Die COVID-19-Pandemie hat die Schwächen dieses Systems offenbart: Unterbrechungen der globalen Lieferketten führten zu massiven Lieferengpässen.
Darüber hinaus schaffen jüngste Fortschritte in den Bereichen Sensorik, kostengünstige Hochleistungsrechner und Softwaretools die Voraussetzungen für neuartige innovative Fertigungsanwendungen.
tec.news: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen bei der Anwendung maschineller Intelligenz für industrielle Anwendungen?
Professor Boning: Aufgrund meiner Recherchen und Erfahrungen komme ich zu dem Schluss, dass die Einführung von maschineller Intelligenz in die Fertigung und die Betriebsabläufe den durchschnittlichen Hersteller tatsächlich vor Herausforderungen stellt. Und diese Hürden müssen überwunden werden, damit die versprochenen Vorteile erzielt werden können. Denn oft geht es in der Fertigungssituation um benutzerdefinierte Prozesse, auf die sich Off-the-Shelf-Lösungen für maschinelles Lernen kaum anwenden lassen. Um eine effektive Lösung zu erzielen, müssen die Maschinen von Nutzern „angelernt“ werden, die das Problem vollständig verstehen. Deshalb konzentriert sich mein Forschungsansatz darauf, Menschen so zu schulen, dass sie quasi als „Übersetzer“ mit Fachwissen über maschinelles Lernen und Produktionsprozesse tätig werden können, um die Erfolge vor Ort im Betrieb zu verbessern. Ich arbeite daran, Studenten im Grundstudium die Grundlagen des maschinellen Lernens zu vermitteln, damit sie diese notwendigen Fähigkeiten bei zukünftigen Arbeitgebern einbringen können.
Der erste Schritt beim maschinellen Lernen ist das Vorhandensein der geeigneten Daten als Ausgangspunkt. Allerdings reicht es meistens nicht, für eine bestimmte Anwendung des maschinellen Lernens über Daten zu verfügen. Es müssen relevante Daten sein. Es gibt eine Reihe von Techniken des maschinellen Lernens, wie statistische Methoden, Entscheidungsstrukturen, sogenannte Random Forrests ,neuronale Netze, Zeitreihenanwendungen usw., die auf praxisorientierte Engineering-Er fahrungen und geschäftliches Urteilsvermögen angewiesen sind. Weitere zu berücksichtigende Faktoren sind Methoden für den Umgang mit „Ausreißer“-Daten, Datenstrukturierung, Erkennung von Anomalien und Fehlern sowie Modelldrift- Phänomene. Unter Modelldrift versteht man das Phänomen, dass sich Datenkorrelationen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt erstellt wurden, im Laufe von Wochen, Monaten oder Jahren ändern, da die Prozessausrüstung altert oder sich die Herstellungsprozesse selbst im Laufe der Zeit geringfügig verändern.
Kurz gesagt: Die erfolgreiche Entwicklung eines Modells für maschinelles Lernen erfordert ein umfassendes Verständnis von Datenmodellierung und den Zugang zu den richtigen Daten.
tec.news: Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach Partnerschaften zwischen Industrie und akademischer Welt bei der Lösung dieser Probleme?
Professor Boning: Partnerschaften zwischen Industrie und Hochschulen sind von entscheidende Bedeutung, wenn es darum geht, reale Plattformen und Fallstudien für die Untersuchung und Prüfung neuer Ansätze und Hypothesen bereitzustellen. Letzten Endes werden beide Seiten benötigt, um reale Bedürfnisse zu erfüllen. Das MIT kann auf eine lange Geschichte solcher Partnerschaften zurückblicken. Und durch Organisationen wie das MTL sowie andere Zentren am MIT sind wir in der Lage, die Stärken sowohl des industriellen als auch des akademischen Umfelds zu nutzen und dem Geist unseres Mottos MENS ET MANUS – oder der Verschmelzung von Theorie und Praxis – gerecht zu werden.
tec.news: Wie sehen Sie die Zukunft des maschinellen Lernens und das Ergebnis dieser Programme?
Professor Boning: Maschinelles Lernen ist entscheidend für die nächste Generation von Fertigungsprozessen.
Mit unserer Arbeit heute leisten wir einen Beitrag zum Fundament der Zukunft. In diesen Programmen werden die notwendigen Konzepte und Fähigkeiten vermittelt, die die Studierenden bei ihren künftigen Arbeitgebern einbringen, die ihrerseits dann von einem Wettbewerbsvorteil profitieren werden.