Rückblick und Aussichten: Der 7. Jahrestag von Chinas Internet der Energie (IoE)
Mandy Wang, Head of Market Management and Industry Segment Management
In den letzten Jahren haben wir grundlegende Modernisierungs- und Transformationsprozesse erlebt: Die Energiewirtschaft bewegt sich weg von fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren Energien. Der Verkehrssektor stellt auf Strom um und integriert gleichzeitig neue Technologien wie das Internet der Dinge (IoT), mobile Kommunikation, Cloud Computing, Big Data, künstliche Intelligenz und Blockchain-Ansätze in seinen Lösungen.
Diese Entwicklung hat auch einen neuen Trend in Richtung auf ein Internet der Energie (IoE) ausgelöst. Energiekosten und Brennstoffpreise haben sich entkoppelt, dasselbe gilt für Produktionseffizienz und -maßstab. Der Energiesektor wandelt sich zunehmend von einer ressourcenabhängigen Industrie zu einer Hightech-Produktions- und digital geprägten Dienstleistungsindustrie. Aber in der Praxis wird die Energiewende weltweit ohne staatliche Förderungsinitiativen wohl nicht gelingen. Vor diesem Hintergrund stellte China 2014 seine neue Strategie "Four Reforms and One Cooperation" vor, die auf Energieversorgungssicherheit abzielt. Anfang 2020 wurde die neue Ausrichtung der Infrastrukturmaßnahmen unter dem Motto "Digitale Infrastruktur, Verkehrsinfrastruktur und integrierte Infrastruktur" formuliert.
In diesem Zuge wurden erstmals das Ziel “Wendepunkt der Treibhausgasemissionen und Klimaneutralität" vorgestellt. Nachdem der Zentrale Finanz- und Wirtschaftsausschuss am 15. März 2021 den Aufbau eines "neuartigen Energiewirtschaftssystems" vorschlug, begann Ende 2021 eine marktorientierte Transformation. Diese ist gekennzeichnet durch die vollständige Übernahme der industriellen und gewerblichen Stromnachfrage in den Strommarkt. Von der technologischen Modernisierung über die Marktmechanismen bis hin zum quantifizierbaren Ziel der Kohlenstoffneutralität bis 2060 wurde schrittweise ein neues politisches Umfeld für die industrielle Entwicklung des chinesischen Energie-Internets geschaffen.
Das Internet der Energie, Teil 1: Auf Dekarbonisierung ausgerichtete Hightech-Fertigungsindustrie
In China ist die Industrie deutlich gewachsen, was sich in Bereichen wie Batterien, gebrauchte NEVs (New Energy Vehicles, Fahrzeuge mit alternativer Antriebstechnik), Photovoltaik oder der industriellen Wertschöpfungskette für Windkraftanlagen zeigt, die alle erneuerbaren Energieträger mit dem Stromnetz verbinden und von den fossilen Rohstoffen entkoppelt sind. Das gilt vor allem für die sich überdurchschnittlich entwickelnde Automobilindustrie (ca. 10 % des Gesamtenergieverbrauchs), in der bedeutende neue Industriekräfte entstehen und die Zahl der New Energy Vehicles (NEVs) seit 2012 stark gestiegen ist. Bis Ende Juni 2021 erreichte der NEV-Bestand in China 6,03 Millionen Fahrzeuge, was einem Anteil von 2 % aller Fahrzeuge entspricht. Die „Energy Saving and New Energy Technology Route Map 2.0“ der „China Society of Automotive Engineering“ geht davon aus, dass die NEV-Verkäufe im Jahr 2030 einen Anteil von 40 % und im Jahr 2040 bereits von über 50 % am Fahrzeugmarkt ausmachen werden.
Produktion und Verkauf von NEVs befinden sich weiterhin auf einem logistischen Wachstumskurs. Auf der Grundlage der seit 2012 erhobenen Ertragsdaten und der Nutzungsdauer von NEVs ist davon auszugehen, dass der NEV-Bestand von 2020 bis 2040 rapide ansteigen wird: Man rechnet mit insgesamt 190 Millionen Fahrzeugen im Jahr 2035 und 300 Millionen Fahrzeugen im Jahr 2040. Nach 2040 wird der chinesische NEV-Markt dann allmählich gesättigt sein und sich im Jahr 2050 bei rund 350 Millionen Fahrzeugen stabilisieren. In der Vorreiterstadt Shenzhen sind die öffentlichen Verkehrsmittel im Jahr 2021 zu 100 % elektrifiziert, was ein frühzeitiges Erreichen der 40 %-NEV-Kapazität bedeutet.
Die Entstehung und Entwicklung des Internets der Informationen ist untrennbar mit der rasanten Entwicklung des Computers und der PC-Industrie verbunden. Deshalb wird erwartet, dass eine solide NEV-gestützte Gesellschaft die Entwicklung intelligenter Endgeräte für das Internet der Energie vereinfachen und standardisieren wird. Derzeit hat jedes NEV in China (einschließlich Plug-in-Hybrid- und BEV-Fahrzeuge) mindestens 10 kWh Strom an Bord (durchschnittlich ca. 50 kWh pro Fahrzeug): Alle NEVs sind mit bordeigenen 4/5G-Kommunikationssystemen ausgestattet.
Neben den NEVs boomen in China auch die mobilen Zahlungsmöglichkeiten. Jede öffentliche Ladesäule ist zugleich ein Technologie-Terminal für das mobile IoT. Für den Endnutzer sind das Scannen und elektronische Bezahlen bereits zur Routine für die Abrechnung von Ladevorgängen geworden.
Die von verschiedenen Unternehmen bereitgestellten privaten Ladesäulen bieten auch Bluetooth- und andere IoT-Kommunikationstechnologien an. Von 2017 bis 2021 stieg die Zahl der öffentlichen Ladesäulen in China von weniger als 0,22 Millionen auf über 1,14 Millionen, wobei die jährlichen Wachstumsraten bei rund 52 % lagen. Bei den privaten Ladesäulen stieg die Zahl von weniger als 0,24 Millionen auf über 1,47 Millionen bzw. mit Wachstumsraten von rund 59 %. NEVs und die zugehörigen Ladenetzwerke sind typische digitale Verkehrsintegrationsinfrastrukturen, die als eine typische Anwendung des Internets der Energie betrachtet werden können.
Das Internet der Energie, Teile 2: Wertschöpfungsorientierte digitale Dienstleistungen
Anfang 2022 beschloss China, den umweltfreundlichen Konsum durch ein von neun Ministerien gemeinsam herausgegebenes Papier zu fördern. In einer konzertierten Aktion starteten Unternehmen und öffentliche Einrichtungen Initiativen zur Förderung von umweltfreundlichen Verkehrs- und Gebäudelösungen. In der hochinnovativen chinesischen Megaregion Greater Bay Area wurde ein neues Bürogebäude mit einem PV-Dach und bidirektional ladbaren Elektrofahrzeugen sowie V2G-Ladestationen ausgestattet. Die V2G-Technologie (Vehicle to Grid) macht Elektrofahrzeuge zu mobilen Energiespeichern, eine Technologie, die sich bereits in vielen Projekten in Europa und den Vereinigten Staaten bewährt hat. Das Highlight in Shenzhen war die Verbindung zwischen dem Fahrzeugnetz (für den Transport), dem Ladenetz (für die Energie) und der virtuellen Kraftwerksplattform. Das System vergibt auf der Grundlage von Nutzereingaben Entladeaufträge und stellt dabei sicher, dass die entladenen Fahrzeuge noch eine ausreichende Kilometerleistung für den Weg nach Hause aufweisen. Die teilnehmenden Fahrzeuge profitieren von einer längeren Lebensdauer ihrer Batterien und von billigerem Strom, der über PV-Dächer erzeugt wird, während gleichzeitig Staus bei Ladevorgängen und Spannungsspitzen im Verteilnetz vermieden werden. Durch das Erkennen von Verkehrs- und Stromlasten lassen sich Spitzenlasten reduzieren.
Darüber hinaus kann die zentrale Plattform flexibel und aktiv auf das städtische Stromnetz reagieren und so die Regulierung der städtischen Stromversorgung unterstützen. In verschiedenen (Ent-)Lade-Szenarien werden Ladesäulenstatus, Batteriesicherheit, Fahrzeugmodelle und Anforderungen des Verteilnetzes sowie die Anforderungen des virtuellen Kraftwerks umfassend berücksichtigt. Zu diesem Zweck wird der KI-gestützte Energy Robot und sein verteiltes Ressourcenmanagement-Netzwerk (DRMN) zur Unterstützung der (menschlichen) Ingenieure eingesetzt. Ein DRMN ist für die kontinuierliche Analyse und den Betrieb erforderlich und unterstützt die Umsetzung von Eigensensorik, Selbstlern- und Selbstentwicklungsprozessen im System. Auf der Grundlage einer hochpräzisen Systemvorhersage ist dieses Netzwerk anpassungsfähig im Hinblick auf den Gesamtbetrieb und die Steuerung. In dieser Hinsicht sorgen zugängliche Hardware-Elemente wie NEV, PV und Zwei-Wege-Ladesäulen für einen hohen Mehrwert. Darüber hinaus arbeiten und agieren die systemübergreifende Byte-Fusion, die vorausschauende Planung und die Wertrealisierung des Internets der Energie reibungslos und zweckmäßig zusammen.
Die Erfahrungen, die in jüngster Zeit in großem Maßstab bei der Einführung von automatisierten Betriebstechnologien (OT) und systematischen IT-Anwendungen gemacht wurden, können über den Verkehrssektor hinaus auch auf Energietechnologien angewendet werden. Dies wird uns dabei helfen, die Kohlenstoffemissionen bis hin zur Kohlenstoffneutralität zu reduzieren. Ein Internet der Energie mit gewinnbringenden Strom- und Kohlenstoffmärkten wird sich zusammenschließen und ein größeres Wertschöpfungsnetz bilden, das sich an zusätzlichen Netzdiensten und innovativen Anwendungen wie der Nachfragesteuerung beteiligen kann. Dies wird das rasche Wachstum der Hightech-Energiedienstleistungsbranche ankurbeln und im Internet der Energie zur Entstehung von sogenannten Unicorns beitragen – Startups, die aus der Masse hervorstechen. In China werden sicherlich Energieaggregationsplattformen wie AutoGrid (USA) und Next Kraftwerke (Deutschland) entstehen. Die große Zahl intelligenter, vernetzter Fahrzeuge mit neuen Energieantrieben (und deren installierte Batterien) wird wie ein "Energieschwamm" wirken, der einen massiven, anpassungsfähigen Ressourcenpool für das Stromnetz liefert. Dies wird den Weg ebnen für einen Tesla-Wettbewerber wie z.B. Autobidder in China.