Digitale Zwillinge machen den Weg frei für den Wandel
Gastarikel Siemens
Die Unternehmen stehen unter Druck, wirklich innovative Produkte zu entwickeln, die nicht nur intelligenter sind, sondern auch schneller auf den Markt kommen, effizienter in der Herstellung sowie nachhaltiger sein müssen. Unternehmen, die digitale Zwillinge nicht zu einem Kernbestandteil ihrer Nachhaltigkeitsinitiativen gemacht haben, werden nicht in der Lage sein, die umfangreichen Daten voll auszuwerten, die für die heutigen globalen Herausforderungen benötigt werden.
Ein digitaler Zwilling ist ein virtuelles Modell eines physischen Objekts - einer Komponente, eines Produkts, einer Maschine, eines Prozesses usw. Ein wirklich umfassender digitaler Zwilling beinhaltet mechanische, elektrische und softwaretechnische Daten. Ein solcher Zwilling reift während des Produktlebenszyklus: Er erfasst, speichert und nutzt Daten für den gesamten Produkt- und Produktionsprozess und sammelt mit Hilfe einer Feedbackschleife Daten über das genutzte Produkt. Mit einem umfassenden digitalen Zwilling können Unternehmen die virtuelle und physische Welt verknüpfen und Optimierung, Chancenprüfung und nachhaltige Ergebnisse in einen kontinuierlichen Kreislauf einbinden. Je umfassender ein digitaler Zwilling ausfällt, desto wertvoller ist er, da Unternehmen mit seiner Hilfe fundierte Entscheidungen treffen können.
Alles beginnt mit der Entwurfs- und Konstruktionsphase
Über ca. 80 Prozent der Umweltbelastungen eines Produkts wird in der Konzeptphase entschieden, was einen grundlegenden Wandel der Art und Weise unserer Ideenfindung und Entwurfsentwicklung erfordert. Um effektiv zu sein, müssen Unternehmen neben den Eigenschaften, den Kosten und der Qualität eines Produkts auch die gesamten Umweltauswirkungen bewerten. Durch Einsatz moderner technischer Lösungen können Unternehmen diese Aspekte bereits in der Entwurfs- und Konstruktionsphase beurteilen und fundierte Entscheidungen auf der Grundlage genauer, aktueller Daten treffen.
Kunden aus der Automobilbranche können durch Automatisierung und Architekturanalyse nach dem neuesten Stand beispielsweise den Umfang der Verkabelung von Elektrofahrzeugen schon im Entwurf reduzieren und so das Gewicht, die Batteriekosten und die Gesamtkohlenstoffbilanz des Fahrzeugs reduzieren, sobald es im Einsatz ist.
Vom Entwurf bis zur Fertigung
Der Wandel unserer Arbeits- und Denkweise muss auch die Herstellung und Produktion erfassen und alle Variablen berücksichtigen, welche die Umweltbelastungen eines Produkts beeinflussen. Mit Topologieoptimierung, generativem Engineering und additiver Fertigung für digitale Werkzeug-Zwillinge lassen sich beispielsweise Materialabfall und Energieverbrauch während der Fertigung reduzieren. Darüber hinaus lassen sich durch Modellierung und Simulation effizientere Produktionslinien planen und optimieren, Wechselwirkungen zwischen der Anlage und dem Netz sowie potenzielle Auswirkungen der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen ermitteln.
Ein Kunde aus der Lebensmittel- und Getränkeindustrie vernetzte beispielsweise mit IoT-Lösungen seine Maschinen von den Sensoren bis zum Edge-Bereich mit der Cloud. Diese IoT-Anwendungen können den Wartungsbedarf prognostizieren, Ausfallzeiten in der Fabrik reduzieren und zur Senkung des Energieverbrauchs beitragen. Der Kunde konnte den Energieverbrauch im ersten Jahr um 13 % senken.
Verbesserungen werden nicht nur innerhalb der Werktore erzielt. Ein umfassender digitaler Zwilling ist Voraussetzung für die Verknüpfung und Analyse von Daten für den gesamten Betriebsablauf, einschließlich des Ökosystems von Lieferanten und Partnern. Ein Kunde aus der Automobilindustrie analysierte beispielsweise mit Hilfe der Digitalisierung die Routen der Spediteure, die das Werk beliefern oder Lieferungen abholen, was nicht nur einen Einblick in die Logistikkosten, sondern auch in den potenziellen CO₂-Fußabdruck dieser Lieferungen ermöglichte. Auf diese Weise können Logistikkoordinatoren Möglichkeiten zur Optimierung von Versandgrößen, Routen und Versandmethoden ermitteln.
Ein digitaler Zwilling ist auch noch wertvoll, wenn das Produkt schließlich im Einsatz ist. Vorausschauende Wartungsmodelle erlauben es Unternehmen beispielsweise, ein Produkt während seines gesamten Lebenszyklus effektiver und proaktiver zu warten. Darüber hinaus lässt sich mit digitalen Tools überprüfen, wie Materialien wiederverwendet, recycelt oder ausgemustert werden können, sobald das Produkt nicht genutzt wird.
So entwickelte beispielsweise ein Kunde, der Lithium-Ionen-Batterien recycelt, einen innovativen Recyclingplan mit hohem Durchsatz, durch den sich Lithium aus Batterien jeder Art sortieren und dann zur Herstellung neuer Elektrogeräte wiederverwenden lässt. Durch Digitalisierung und einen datenbasierten Ansatz steigerte das Unternehmen seinen Durchsatz von 2.000 Tonnen auf 10.000 Tonnen pro Jahr und ist auf dem besten Weg die 30.000-Tonnen-Marke zu erreichen.
Strategische Nachhaltigkeit durch digitale Datenvernetzung
Durch Digitalisierung können Unternehmen, Daten über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg sammeln, analysieren und nutzen, aber diese Veränderungen geschehen nicht über Nacht. Es kommt dabei darauf an, praktische Änderungen zu identifizieren, die eine echte, praktische Auswirkung auf jeden Punkt der digital vernetzten Daten und Informationen haben, die während des gesamten Produktlebenszyklus anfallen. Diese Veränderungen sind in den digital vernetzten Daten gespeichert und helfen den Unternehmen, Produkte nicht nur schneller, besser und rentabler, sondern auch nachhaltiger herzustellen. Nachhaltigkeit ist kein nachträglich ergänztes Element im Lebenszyklus von Produkten. Sie ist ein integraler Bestandteil des gesamten Digitalisierungsprozesses, der bereits in der Entwurfs- und Konstruktionsphase beginnt.
Durch die Digitalisierung und die Implementierung eines umfassenden digitalen Zwillings und digitale Vernetzung der Daten aus dem gesamten Lebenszyklus von Produktentwicklung, Produktion und Service erreichen wir eine echte Verschmelzung der virtuellen und realen Welt. Damit lassen sich Konzeption und Herstellung von Produkten revolutionieren und gleichzeitig Nachhaltigkeitsziele erreichen.